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03.06.2010

Die Juroren der Juroren
(Nominierungen zum Max-und-Moritz-Preis 2010)

Alle zwei Jahre wird auf dem Comic-Salon Erlangen der Max-und-Moritz-Preis vergeben, der - was mediale Präsenz und Renommée angeht - wohl wichtigste Preis für Comics im deutschsprachigen Raum. Verliehen werden die Preise in insgesamt neun Kategorien am Freitagabend im Markgrafentheater. In zwei Kategorien stehen die Preisträger bereits fest: Der französische Autor Pierre Christin bekommt den "Sonderpreis für ein herausragendes Lebenswerk", nicht zuletzt für seine Science-Fiction-Serie Valerian und Veronique, die in diesem Jahr nach 21 Bänden abgeschlossen wurde und inzwischen echten Klassikerstatus hat. Den "Spezialpreis der Jury" bekommen zwei Verlage für ihre Editionen von Will-Eisner-Comics: Salleck Publications (Die Spirit Archive) und Carlsen (Ein Vertrag mit Gott).

Bei zwei anderen Kategorien ist hingegen noch nichts bekannt: Wer als „Bester deutschsprachiger Comic-Künstler“ und „Beste studentische Comic-Publikation“ ausgezeichnet wird, erfährt man erst am Abend der Preisverleihung.

Bleiben vier weitere Kategorien, für die es eine Liste von nominierten Comics gibt: „Bester Comic-Strip“, „Bester deutschsprachiger Comic“, „Bester internationaler Comic“ und „Bester Comic für Kinder". Anders als bisher gibt es hier nicht für jede Kategorie eine eigene Nominierungsliste; stattdessen erstellte die Jury eine Gesamtliste von 20 Titeln, aus denen die vier Preisträger ausgewählt werden. Da diese Liste einige Comics enthält, die durchaus in zwei (oder gar drei?) Kategorien passen würden, ist das möglicherweise eine gute Idee. Ähnlich hält es seit einiger Zeit die Jury von Angoulême, wo im Vorfeld eine (allerdings wesentlich umfangreichere) Liste von preiswürdigen Comics erstellt wird, aus der dann die endgültigen Preisträger ermittelt werden.

Eine solche "Shortlist" kann - gerade für Leser, Buchhändler, Bibliothekare und Journalisten, die sich nicht Tag für Tag nur mit Comics beschäftigen - eine gute Hilfe sein, um in der Vielzahl der Neuerscheinungen halbwegs den Überblick zu behalten und die eine oder andere hochwertige Nadel im Heuhaufen zu finden. Dazu sollte sie allerdings in der Lage sein, einen Eindruck von der stilistischen und inhaltlichen Bandbreite zu vermitteln, die Comics heute zu bieten haben. Im Gegensatz zu den über 50 Titeln von Angoulême (für den Zeitraum von einem Jahr) schafft die 20er-Liste des Max-und-Moritz-Preises, die zwei Jahre abdecken muss, das nicht. 20 Comics aus 24 Monaten sind eine sehr sehr enge Auswahl, bei der zwangsläufig eine Menge hervorragender Titel unter den Tisch fallen müssen. Und da die Jury bei der Auswahl dieser 20 Titel kein rundherum glückliches Händchen bewiesen hat, melden sich kritische Stimmen zu Wort, am auffälligsten im Comicforum, wo der Preis und die Nominierungen teilweise heftig kritisiert werden.

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Aufhänger für diese Diskussion ist vor allem der neu eingeführte Publikumspreis. Zusätzlich zu den bereits genannten Jurypreisen wird in Erlangen auch ein Preis vergeben, über den die "normalen Leser" per Stimmzettel oder online abstimmen sollen. Wählen können sie dabei aus eben jener 20er-Liste, andere Titel stehen nicht zur Wahl. Die Debatte im Forum dreht sich nun vor allem um die Streitfrage, ob eine so enge Auswahl für einen Publikumspreis sinnvoll ist oder nicht. Eine eher fruchtlose Diskussion, bei der jene am lautesten schreien, die selbst gerne nominiert wären und nun eine Verschwörung wittern. Dass ein Publikum im Rahmen eines Festivals die gleiche Auswahl hat wie eine Fachjury, ist im Kulturbereich nicht ungewöhnlich, man denke etwa an den Ingeborg-Bachmann-Preis oder diverse Filmfestivals. Auf diese Weise lässt sich das Votum einer Mehrheit mit dem der Jury gut vergleichen.

Wesentlich interessanter als die Frage, ob die 20er-Liste als Publikumspreis-Basis geeignet ist, ist die Diskussion, ob diese 20 Comics wirklich dem aktuellen Status von Comics in Deutschland gerecht werden. Der Hauptvorwurf an die Jury lautet, die Nominiertenliste sei zu elitär und zu einseitig.

Der Vorwurf der Einseitigkeit beruht vor allem auf der Tatsache, dass der Carlsen-Verlag mit acht von 20 Nominierungen überproportional vertreten ist und auch beim Sonderpreis und beim Lebenswerk-Preis zum Zug kommt. Hier eine üble Verschwörung mit Schmiergeldern und vom Verlag bezahlten Bordell-Flatrates zu vermuten, wäre kindisch. Als neutraler Beobachter muss man anerkennen, dass derzeit kaum ein anderer Verlag eine so breite und vielfältige Palette von hochwertigen Comics unterschiedlichster Herkunft anbietet. Zudem gehört der Verlag zu den treibenden Kräften der "Graphic-Novel"-Offensive, deren Erfolg ganz deutlich in der Liste zu erkennen ist: Nahezu alle nominierten Titel (mit Ausnahme der Strips) lassen sich dieser Gruppe zuordnen. Und man muss zweifellos anerkennen, dass der Boom der Graphic Novels in den letzten Jahren zu einer Vielzahl von preiswürdigen Comics geführt hat. Allerdings erstaunt das deutliche Übergewicht von Carlsen-Titeln auf der Liste, zumal viele andere Verlage gar nicht vorkommen.

Der Vorwurf, die Jury hätte nur intellektuell höchst anspruchsvolle "Feuilleton-Comics" berücksichtigt, ist nicht ganz fair. Werke wie Uli Oesterles Hector Umbra oder Ralf Königs Archetyp sind sicher auch für Menschen ohne Doktortitel genießbar, und das gilt auch für andere Titel auf der Liste.

Trotzdem sind einige Entscheidungen der Jury fragwürdig:
Warum nominiert man mit Jens Harders Alpha einen Band, der zum Zeitpunkt der Bekanntgabe noch gar nicht auf Deutsch erschienen ist, dafür aber sehr prominent in Erlangen präsentiert wird (u.a. mit dem großen "Titelbild" über dem Haupteingang)?
Warum landet der Comicstrip Liō auf der Liste, den hierzulande kaum einer kennt (erscheint er überhaupt in einer deutschen Zeitung)? Warum ist die Jurybegründung für diesen Strip so täuschend ähnlich zum offiziellen Promo-Text der Firma Bulls Press, die den Max-und-Moritz-Preis finanziert?
Warum sind unter den drei Manga auf der Liste ein 40 Jahre alter Thriller (Kirihito von Tezuka) und ein Franchise-Produkt, dass auf einer etablierten Mädchenbuchreihe basiert (Freche Mädchen - Freche Manga)? Spiegelt das den aktuellen Stand des hiesigen Mangamarktes wieder?
Und warum gibt es nicht einen einzigen US-amerikanischen Titel auf der Liste?

Es ist sicher müßig, einzelne Titel aufzuzählen, die auf der Liste fehlen. Keiner der 20 Comics wurde völlig zu Unrecht nominiert. Es hätten sich aber viele Fragen und Vorwürfe vermeiden lassen, wenn man die Auswahl nicht auf die extrem kleine Zahl von 20 beschränkt hätte. Das inhaltliche Spektrum wäre größer, es wären mehr als nur acht Verlage zum Zug gekommen und auch die leichtere (und trotzdem intelligente!) Unterhaltung wäre stärker berücksichtigt worden.

Schade übrigens, dass sich in der Forendiskussion bislang kein Mitglied der Jury gemeldet hat. Ein paar Hintergrundinfos zum Entscheidungsprozess und vielleicht auch zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Comic nominiert werden kann (müssen alle Titel offiziell eingereicht werden?) wäre in dieser teilweise emotional geführten Debatte bestimmt ganz hilfreich.

Wer letztendlich die Brote und Medaillen (bzw. in zwei Kategorien das Preisgeld) mit nach Hause nehmen wird, werden wir morgen wissen, wenn die feierliche Gala vorbei ist. Dass es durchaus gelingen könnte, kulturellen Anspruch und Mainstream-Unterhaltung zu verbinden, zeigt die Auswahl des Moderatorenpaars: Neben Druckfrisch-Moderator (und Jurymitglied) Denis Scheck führt diesmal Hella von Sinnen, die Ulknudel aus dem Privatfernsehen, durch den Abend.

Bei satt.org hat sich Felix Giesa ähnliche Gedanken zum Thema gemacht.

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posted by Thomas um 17:59 | Permalink